Zur Mahlzeit wurden gereicht ….

Die Siebnersmahlzeit zu Wiesenbronn

Das Ehrenamt des Siebneramt oder Feldgeschworenen hat eine lange Tradition. Schon im Mittelalter setzte man unbescholtene und ehrenhafte Männer ein, um vor allem die Grundstücksgrenzen zu beaufsichtigen und Streitigkeiten zu schlichten. Große Bedeutung kam auch der Überwachung der Gemarkungsgrenzen gegenüber den Nachbardörfern zu. Damit hängt auch die ehemals vornehmste Aufgabe der Siebner zusammen: Das Abhalten der großen, allgemeinen Markungsumgänge, wie sie in manchen Dörfern heute noch nach ungebrochener Tradition stattfinden oder wieder eingeführt wurden. Sinn und Zweck dieser Feste war und ist es, der Bevölkerung den Verlauf der Gemarkungsgrenze und den genauen Standort der Grenzsteine kund zu tun. In Zeiten, als es noch keine staatlichen Vermessungsämter gab, sicherlich eine wirkungsvolle und gebotene Vorsichtsmaßnahme. Bei dieser Gelegenheit legte man ein besonderes Augenmerk auf die Schulkinder, also auf die nächste Generation, als künftige Grenzwächter. Damit solche Festtage und vor allem die Standorte wichtiger Steine in Erinnerung blieben, mussten in Wiesenbronn Schulkinder direkt an den Grenzsteinen folgende Sprüche aufbeten:

Wenn dieser Stein durch unbekannt
entkäm aus seiner Markung Land
will ich ohn Falsch und Heuchelschein
ein wahrer Zeug der Markung sein.

Was ich allhier als klein gesehn
dabei will ich im Alter stehn
und alle Wahrheit zeigen an
weil dieser Stein nicht reden kann.

Vergesst nicht unsrer Väter Kampf
drum schwärzt den Stein im Pulverdampf
weil Recht und Ordnung bleiben muss
jetzt Feuer frei – dazu gut Schuß!

Die besondere Bedeutung des Siebneramtes gegenüber anderen Gemeindeämtern zeigt sich vor allem darin, dass man zum Feldgeschworenen auf Lebenszeit gewählt wurde und wird. So ist es kein Wunder, dass die Wahl zum Siebner eine besondere Anerkennung, aber auch eine besondere Verpflichtung für den Neuberufenen darstellt. Zu einer eher angenehmen Pflicht zählte die zum Einstand übliche Siebnersmahlzeit.
In Wiesenbronn lud jeder neu gewählte Siebner nach altem Herkommen seine Kollegen zur Siebnersmahlzeit ein. Solche Festessen waren offensichtlich seit jeher allgemein üblich, z. B. heißt es in den Aufzeichnungen der Siebneramtes in Mainstockheim um 1800: … hierauf hat der neugewordene Siebner seine Herren Kollegen des löblichen Siebneramtes für seine Eintritt eine Siebnermahlzeit zu entrichten. Solche überlieferten Bräuche waren im 1806 gegründeten Königreich Bayern für den aufgeklärten und rational denkenden bayrischen Staatsbeamten ein Unding. So wie man z. B. auch Wallfahrten und das Aufstellen von Weihnachtskrippen verbot, untersagte man auch das Abhalten von Siebenersmahlzeiten. 1835 erging von den königlichen Landgerichten an die Gemeinden eine Verfügung, die u. a. bestimmte : … wobey mehrere, beynahe in allen Siebnerordnungen vorkommenden Alterthümlichen Gebräuche, die in den jetzigen Zeiten und der neuen Gemeinde-Verfassung nicht mehr passieren, hiemit aufgehoben werden. Diese sind 1tensZehrungen bey den Eintritt der einzelnen Mitglieder in die Siebnerey ….
In Wiesenbronn fand dieses Festessen grundsätzlich im Winter oder einer sonstigen arbeitsruhigen Zeit statt. War der Termin vom neuen Siebner festgelegt, beauftragte er den Polizeidiener mit der offiziellen Ladung, die 10 bis 14 Tage vor dem Ereignis erfolgte. Eingeladen wurden neben den Siebnerskollegen auch der Pfarrer, der Lehrer und der Bürgermeister. Frauen nahmen daran nicht teil.
Wie bei vielen Festen früher üblich und auch heute noch teilweise gebräuchlich, verteilten Familienangehörige am Samstag vor dem Fest die Siebnerbündel, also eine Auswahl von Kuchen- , Gebäck-und sogar Fleischstücken. Empfänger der Gabe waren neben den übrigen Siebnern der Flurer und der Gemeindediener.
Für die Zusammenstellung solcher Bündel liegen vier Aufzeichnungen vor, die zweimal die Jahre 1899, dann 1950 und 1953 betreffen.

Siebnerbündel des Kaspar Reinhardt 1899:
½ Brodstollen Vorlauf
¼ breiten Kuchen
¼ Käßplatz
¼ Zwetschgenplatz
12 Stück Zuckerplätzli
1 Stück Brodtorte
1 Stück Gucklopfn
1 Portion Braten in Gelee
1 Portion Schweinbraten.

Siebnerbündel des Friedrich Gräf 1899:
¼ Vorlauf Brod
¼ breiten Kuchen
¼ Gucklopfn
¼ Käßplatz
¼ Zwetschgenplatz
5 Stück Zuckerplätzli
1 Stück Zopfkuchen
½ Pfund Schweinbraten
1 Gansschenkel
1 Schweinekotlett

Siebnerbündel des Ernst Ackermann 1950:
¼ Streußelkuchen
¼ Käsekuchen
¼ Äpfel- und Käsekuchen
1 St. Kranz, 1 St. Gesundheitskuchen
1 St. Torte, 2 Schneeballen
15-20 Plätzchen
½ Stollen Weißbrot
½ Pfund Schweinbraten
1 Flasche Wein

Siebernbündel des Heinrich Reinhardt 1953

¼ Steußelkuchen
¼ Käskuchen
1/8 Apfelkuchen
1/8 Zwetschgenkuchen
1 St. Kranz
1 St. ungefähr 1/3 Gesundheitskuchen
2 St. Torte
2 Schneeballen
15 -17 St- Plätzchen
½ weißer Stollen
1 St., ungefähr 300 gr. gebratenes Schweinefleisch
1 Flache Wein.

Die eigentliche Siebnersmahlzeit begann am festgelegten Sonntag um 12 Uhr und zwar immer im Haus bzw. in der Stube des neuen Siebners. Die Gäste nahmen an der festlich gedeckten Tafel Platz und der Polizeidiener trug in weißer Schürze die Getränke und das Essen auf. Als einzige Ausnahme durfte die Frau des Gastgebers am Essen teilnehmen, soweit sie nicht in der Küche gebraucht wurde. Es wurden wenige offizielle Worte gesprochen. Man pflegte lieber das ungezwungene Gespräch in der Runde. Der jeweilige Ortspfarrer war derjenige, der die Unterhaltung, soweit erforderlich, in Gang brachte und auch ein gewisses Niveau gewährleistete.Die Siebnersmahzeit endete gegen 23 Uhr. Während dieser Zeitspanne verließ niemand der im „Sonntagsstaat“ erschienenen Herren das anwesen des Gastgebers. Auch nicht zur Stallarbeit auf dem eigenen Hof.

Bei der Siebnersmahlzeit des Ernst Ackermann im Jahre 1950 wurde aufgetragen:

1 Gang: Suppe: Leberklößchensuppe u. Kräpfchen.
2 Gang: Rindfleisch mit Meerrettich u. Preißelbeeren, Brot.
3 Gang: Schweinebraten und Gansbraten, Nudeln, Soße, Sellerie- und Kopfsalat.
4. Gang: Nachspeise: Zitronencreme

¼ 4 Uhr Kaffee:
mit gebackenen breiten Kuchen, Gesundheitskuchen u. Schneeballen.

Brotzeit: Butterbrot mit Emmentaler Käse, Bier, Wein

½ 7 Uhr Abendessen:
Nudelsuppe mit Kräpfchen
Bratwurst, Schweinekotlett, Kartoffelsalat und Feldsalat.

Bei der Siebnersmahlzeit des Heinrich Reinhardt 1953 wurde aufgetragen:

1 Gang: Windbeutelsuppe mit Leberklößchen und Semmelklößchen
Rindfleisch mit Meerrettich u. Preißelbeereb u. Blumenkohlgemüse (Zum Trinken Wein).
2 Gang: Hasenbraten, Schweinebraten mit Nudeln und Kopfsalat. Nach- speise (Diplomatenkreme).

Zum Kaffee: Marmorkuchen, Torte und Schneeballen.
Hernach: Weißes Brot mit Butter, Wurst, Emmentaler-Käse u. Gurken. Zum Trinken (Bier).

Abendessen: Suppe mit Omlett u. Grießklöschen.

Dann: Kartoffelsalat mit Endiviensalat, Blumenkohlsalat, Selleriesalat mit
Kotlett und Bratwürst.

Hernach noch Plätzchen mit Wein.

Die Zusammensetzung der Bündel und die Speisenfolge bieten einen recht guten Einblick in die ländliche Festtagsküche. Wenn auch die Aufzeichnungen für die Mahlzeiten erst aus der Mitte des 20. Jahrhunderts vorliegen, so kann man doch von einer gewissen Kontinuität ausgehen, die freilich immer wieder kleine Veränderungen kennt. Dabei wird sicherlich auch das Können und die geographische Herkunft der Gastgeberin eine Rolle gespielt haben.
Die Zusammensetzung der Bündel von 1899 und 1950 zeigen ebenfalls kaum Veränderungen. Allenfalls fällt auf, dass 1899 noch keine Schneeballen erwähnt werden. Kannte man diese seinerzeit noch nicht oder hat man sie vergessen? Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass Schneeballen seinerzeit relativ unbekannt waren und sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Festgebäck etablieren konnten.
Außerdem fällt auf, dass die Hauptspeise keine Kartoffeln bzw. aus solchen hergestellte Beilagen kennt. Sollte die Menuefolge vielleicht aus der Zeit herrühren, als die Kartoffel noch den Siegeszug durch die fränkische Küche angetreten hatte? Falls dies zutreffen sollt, würde die Speisenfolge der Siebnersmahlzeit in das 18. Jahrhundert zurückweisen, also über 200 Jahre alt sein. Denn erst ab 1800 kam in Wiesenbronn der Kartoffelanbau verstärkt auf, wie in der ganzen Region.
Das Ende der Siebnersmahlzeit in Wiesenbronn kam zu Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Ein seinerzeit neugewählter Siebner trat nur unter der Bedingung sein Amt an, wenn er keine Mahlzeit abhalten müsse. Dem wurde stattgegeben. Seitdem fand keine Siebnersmahlzeit mehr statt.

Die Wiesenbronner Siebner im Jahre 1975 am siebnerdenkmal (von links) Heinrich Hühsam, Michael Hofmann, Karl Hühsam, Andreas Hüßner, Fritz Gräf und Ernst Ackermann (Obmann).

Das Sieberndenkmal in der Flurlage Wachhügel erinnert an den Feldgeschworenen Christoph Ackermann, der 1925 zum vierten Mal an einem Markungsumgang teilnehmen konnte. Ein solcher Gang findet nur alle 25 Jahre statt.

Handschriftliche Aufzeichnung zur Siebnersmahlzeit der Siebnersgattin Ackermann aus dem Jahre 1950.