Lebendige Tradition – der Bürgerauszug in Wiesenbronn
Wie in manchen Dörfern des Landkreises Kitzingen auch, feiern die Wiesenbronner am Kirchweihdienstag voller Stolz ihren „Nationalfeiertag“. Seit Jahrhunderten wird an der alten Tradition des „Bürgerauszuges“ unverbrüchlich festgehalten und gerade in der hektischen und digitalisierten Welt unserer Tage kommt diesem Gemeinschaftsbrauch eine herausgehobene soziale und kulturelle Bedeutung zu.
Für viele Bürger ist es selbstverständlich zu diesem Ereignis Urlaub zu nehmen und Studierende kehren oft für wenige Tag in die Heimat zurück, um die hochgeschätzte „Kärm“ zu feiern. Freilich sind die Zeiten vorbei, als die Schüler schulfrei hatten und die Tanzböden der Gastwirtschaften drei Tage lang ab 14 Uhr zum Walzer, Rheinländer und Dreher einluden.
Abschluss und Höhepunkt der Kirchweih war und ist aber der Kirchweihdienstag, wenn alle Bürger und Bürgersöhne am Rathaus antreten, um unter sich die besten Schützen, den Bürgerkönig und den Burschenkönig zu ermitteln. Ein solches Fest bedarf natürlich der Vorbereitung. Heute kaum mehr vorstellbar, begnügte man sich lange Zeit damit, am vorhergehenden Montag alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Das galt vor allem für den Preiseinkauf in den örtlichen Geschäften, für die Preisauszeichnung und für die Vorbereitung des eigentlichen Bürgerschießens. Vor wenigen Jahren verlegte man diese Tätigkeiten auf den Donnerstag vor der Kirchweih und so wird es auch heute noch gehandhabt. Der Gemeinderat trifft sich um 18 Uhr im Rathaus zur Auszeichnung der Preise. Es werden die im Vorfeld von der Bürgermeisterin eingekauften „Gewinnste“ je nach Wertigkeit von 1 bis 110 für die Bürger und 1 bis 40 für die Bürgersöhne ausgezeichnet, d. h. sie erhalten ein entsprechendes Nummern-Etikett.
Nach der Preisauszeichnung geht es an die Vorbereitung der Schieß-Auswertung. Das Wiesenbronner Kirchweihschießen wird als eine Kombination aus Preisschießen und Glücksschießen durchgeführt und muss deshalb sorgfältig organisiert werden. Der beste Schütze wird dabei grundsätzlich nach dem besten „Blatt“ ermittelt, d. h., wer seinem Schuß dem Mittelpunkt der Scheibe am nächsten setzt, darf sich „Bürgerkönig“ nennen. Im weiteren Verlauf der Auswertung spielen Karten eines deutschen Kartenspiels eine nicht geringe Rolle, denn jede Karte bedeutet eine festgelegte Ringzahl. Der Glücksfaktor dabei ist, dass eine Karte, die dem äußersten Scheibenrand zugewiesen wurde, eine höhere Wertung haben kann, als eine solche nahe dem Zentrum.
Die Vorbereitungen auf dem Rathaus schließen ein Bratwurstessen, zubereitet in der Rathausküche, ein kräftiger Umtrunk und schließlich der Genuss von extra angeschafften „Kärwezigarrn“ ab.
Der offizielle Teil des Bürgerauszugs wird am Abend vorher mit dem „Zapfenstreich“ eröffnet. Der Polizeidiener begleitet bei einbrechender Dunkelheit zwei Trommler, die durch verschiedene Signale den bevorstehenden Festtag ankündigen. Die Runde führt durch das ganze Dorf, früher zu genau festgelegten Plätzen, heute eher dorthin, wo ein kleiner Umtrunk lockt. Mit den Trommelsignalen wurden die Bürger früher tatsächlich gemahnt, nach Hause zu gehen und für die Wirte bedeutete der Zapfenstreich das Ende des Ausschankes und der Bewirtung.
Ablauf am Kirchweihdienstag
Bereits um 6 Uhr marschieren die zwei Trommler zum „Wecken“ durch das Dorf. Noch vor wenigen Jahren wurden sie wie am Vorabend vom Polizeidiener begleitet. Wenn sie gegen 9 Uhr die Runde zum „Locken“ wiederholen treffen die ersten Bürger mit Gehrock und Zylinder am Rathaus ein. Dort werden sie von der Heimatkapelle Großlangheim musikalisch begrüßt. Auch zahlreiche Schaulustige finden sich ein, um der Traditionsveranstaltung beizuwohnen. Jetzt formieren die offiziellen Zugteilnehmer die Spitze des Umzuges: Polizeideiner, Zieler, Fahnenträger, der letztjährige Bürgerkönig und sechs Gewehrträger. Hier wird ihnen als Funktionsträger der übliche Obulus, bestehend in zwei Zigarren und zwei Schoppengutscheine, übergeben. Gleichzeitig werden die Bürger in einer Liste namentlich erfasst und nach der Begrüßung durch den Bürgermeister verlesen. Jeder angetreten Bürger antwortet nach seinen Namensaufruf mit „Hier“. Es folgt eine kurze patriotische Ansprache des Bürgermeisters. Anschließend stürmen die Schulkinder das Rathaus, um dort die Preise zu empfangen und um sich dann an die Spitze des Umzuges aufzustellen. Jetzt ergreift der Bürgerkommandant des Wort „Bürger, stillgestanden! Augen geradeaus! Präsentiert das Gewehr!“ Schon erklingt der Präsentiermarsch und der Gemeinderat mit dem Bürgermeister an der Spitze verlässt über die Freitreppe das Rathaus, schreitet die Reihen der angetretenen Bürger ab und reiht sich hinter den Fahnenträgern in den Zug ein. „Bürger, rechts um! Fahnen aufnehmen! Im Gleichschritt marsch!“ Unter den Klängen der Heimatkapelle Großlangheim setzt sich der Zug in Bewegung und zieht in feierlicher Aufmachung zum Schießplatz, zum Schützenheim. Dort nehmen die Bürger erneut Aufstellung. Eine Sonderaufgabe vollziehen Polizeidiener, Fahnenträger und Gewehrträger. Zusammen mit der Musikkapelle umrunden sie dreimal den Zieler, „um die Hexen zu bannen“ um so den Schützen eine sichere Hand zu verleihen.
Das Bürgerschießen
Für das Schießen wurden im Vorfeld spezielle Scheiben aus Karton gedruckt. In der Mitte das rote „Blättla“, dann ein schwarzer Kreis (Durchmesser 10 cm), es folgen drei Kreise im Abstand von je 3 cm, auf den innersten Kreis die Ziffern 1 bis 11, auf den zweiten die Ziffern 12 bis 23 und auf den dritten 24 bis 35.
Jeder Bürger hat maximal drei Schüsse. Sobald ein Schütze einen Königsschuss erzielt, also das rote „Blattla“ trifft, hat er keinen weiteren Schuß mehr. In einer Liste werden die jeweiligen Schußfolge vermerkt: „K“ für Königschuß „S“, schwarz, für den schwarzen Ring, „W“ für weiß, für den weißen Bereich mit den drei Ringen. Falls die Scheibe nicht getroffen wurde, wird dies mit der Aussage „Schwanberg“ kommentiert und nicht vermerkt.
Wenn die Bürger „abgeschossen“ haben, also gegen 12 .30 Uhr, erfolgt die Auswertung der Ergebnisse auf dem Rathaus.
Zunächst werden alle “Blattli“, die getroffen wurden ausgesondert. Der Schütze mit dem Schuß, der der Kreismitte am nächsten ist, ist der „Bürgerkönig“. Dann folgen die weiteren Treffer, je nach Entfernung vom Mittelpunkt. Die pro Schütze ermittelte Gesamtpunktzahl aller drei Schüsse ergibt die Rangfolge in der Ergebnisliste
Die Königsproklamation und die Preisverteilung an Bürger und Burschen erfolgt am Schützenheim.
Umtrunk und Bürgerball
Anschließend ziehen alle Bürger und Bürgersöhne in der gewohnten Ordnung zurück zum Rathaus mit einer Änderung: Den Platz des Bürgerkönigs hinter den Fahnenträgern hat jetzt die neue Majestät eingenommen. Am Rathaus wird erneut Aufstellung genommen. Es folgt die Verlesung der Bürger, die am Vormittag zum Auszug angetreten waren. Abermals ist ein kräftiges „Hier!“ angesagt. Wer sich nicht meldet bzw. nicht wieder mit eingezogen ist, hat nämlich das Recht verwirkt, im nächsten Jahr am Bürgerauszug teilzunehmen. So will es die Überlieferung.
Zum Ende des offiziellen Teils lädt der Bürgermeister zum abendlichen Bürgerball ein und bedankt sich bei allen Teilnehmern für die Teilnahme am Fest. Anschließend marschiert der Zug zum Bürgerkönig und dann zum Burschenkönig. Hier wird ein Umtrunk gereicht und die Familie der neuen Majestäten lässt man mit einem dreifachen Tusch und der „Schützenlieselpolka“ hochleben. Früher oder später, je nach Witterung trifft dann der Zug wieder am Rathaus ein. Die Formation hat sich inzwischen etwas gelockert und bei der Verabschiedung lädt der Bürgerkommandanten nochmals ausdrücklich zum Bürgerball ein.
Auszüge aus dem Beitrag: Bürgerauszug in Wiesenbronn, in: Castell-Rüdenhausen, Karl Graf: Mit Gehrock und Zylinder, Bürgerwehren im Landkreis Kitzingen, Dettelbach 2015, S. 115 bis 126.