… zwey Sitzbäncklein zu der Linden …
Von der ehemaligen Dorflinde in Wiesenbronn
„Mädel flink auf den Kranz
unter der Lind ist Tanz
hörst du die Fiedel hell
Mädel sei schnell, sei schnell.“
Wohl kein Baum ist so eng mit der deutschen Seele verknüpft wie die Linde. Schon die Minnesänger des Mittelalters richteten die Blicke auf sie und besonders die Romantiker des 19. Jahrhunderts schufen der Linde in Gedicht und Lied ein bleibendes Denkmal. Seit Gründung des Deutschen Reiches 1871 nahm die Linde immer mehr den Charakter eines Nationalbaumes an. Kaiserlinden, gepflanzt zu runden Geburtstagen oder Kronjubiläen, sowie Friedenslinden als Erinnerung an den Feldzug gegen Frankreich prägen seit dieser Zeit bis heute viele Dörfer. Ein weiterer Höhepunkt in dieser Reihe waren zig Hitlerlinden die ab 1933 in Mode kamen, und schließlich die Lindenpflanzungen zur Erinnerung an die friedliche Wiedervereinigung in den Jahren 1990 und 1991.
Dorflinden in Unterfranken
Gerade in Unterfranken ist aber eine andere Gattung dieses Baumes von großer Bedeutung: Die Dorf- oder Gemeindelinde. Das Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte erläutert: Von einer Dorflinde im eigentlichen Sinne kann aber nur dann gesprochen werden, wenn sie im Gemeinschaftsleben des Dorfes bestimmte Funktionen hat: als Mittelpunkt des Versammlungsplatzes, als Gerichtsort, als Mittelpunkt dörflicher Feste, vor allem an der Kirchweih, als Ort nachbarlicher Gespräche usw. In einer Regionalstudie für den Landkreis Kitzingen konnte nachgewiesen werden, dass die im Dorfleben verankerte, mit gewissen rechtlichen und sozialen Funktionen ausgestattete Dorflinde in vielen Dörfern ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Lebens war. Für den Landkreis Kitzingen sind bisher insgesamt dreißig Dorflinden belegt. Es ist davon auszugehen, dass Dorflinden zumindest ab dem 17. Jahrhundert grundsätzlich gärtnerisch gestaltet und auf einem Holzgerüst geleitet wurden.
Rathäuser statt Dorflinden
Die frühesten Nachrichten von Dorflinden sind erst aus der Zeit überliefert, als die dörflichen Rathäuser im 16. Jahrhundert wichtige Funktionen übernahmen, die vorher im Umkreis der Gerichtsbäume verortet waren. So tagte der Schultheiß mit seinen Schöffen jetzt in der Gerichtsstube und die Versammlungen der Bürger fanden in der geräumigen Rathausdiele statt. Hier war auch der Ort für Kirchweihtänze und für Hochzeiten. Im Gleichschritt, wie das Rathaus an Bedeutung gewinnt, verliert die Dorflinde als ehemaliger Versammlungsort der Dorfnachbarn an Bedeutung. Nur als Ort des Plantanzes an der Kirchweih konnte die Linde eine gewisse Bedeutung bis zum Ende des alten Reiches 1806 behalten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass ab der Zeit um 1800 die ehemals üblichen Ausgaben für Instandsetzungsarbeiten oder Pflegearbeiten an den Bäumen vollkommen verschwinden. Die Dorflinde als Institution war überflüssig geworden.
Wo stand die Wiesenbronner Linde?
Ein typisches Beispiel für diese Entwicklung ist die ehemalige Dorflinde von Wiesenbronn. Den ersten und den ältesten Hinweis gibt das Gasthaus Zum grünen Baum, dessen Name grundsätzlich auf den Standort einer Dorflinde in unmittelbarer Nachbarschaft schließen lässt. Das erwähnte Gasthaus nahm bis zu einer Brandkatastrophe im Jahre 1942 den Platz des heutigen, 1961 erbauten Lehrerwohnhauses ein. In Verbindung mit dem gegenüberliegenden Rathaus wird man den Standort der Dorflinde am Beginn und mittig in der Kleinlangheimer Straße festmachen dürfen. An diesem Platz trafen sich die Altvordern zu Gericht, aber auch zum geselligen Gespräch und zum Tanz. An die ursprüngliche Funktion eines Gerichtsplatzes erinnern drei spätmittelalterliche Sühnekreuze, die während einer Renovierung des Rathauses 1992 bei Fundamentarbeiten aufgedeckt werden konnten. Nachdem die Sühnekreuze später im Bereich einer Grünanlage eine eher unpassende Aufstellung gefunden haben, sind die ursprünglichen Zusammenhänge leider kaum mehr nachvollziehbar.
Das erste Wiesenbronner Rathaus wurde um 1575 errichtet, ein genaues Jahr wissen wir leider nicht. Wie in anderen Dörfern auch übernahmen solche Gebäude mehrere Funktionen: Neben der Gerichtsstube für den Schultheißen und seine Schöffen beherbergte das Obergeschoss eine geräumige Diele, die auch als Tantzboden und für andere Feierlichkeiten herhalten musste. Im Erdgeschoss war eine Bäckerei eingebaut mit Backstube und Wohnung für den Gemeinbeck. Die gleiche Situation finden wir übrigens in den 1557 und 1558 erbauten Rathäusern in Mönchsondheim und in Kleinlangheim.
Die Pflege und Außbesserung der Linde
Die bisher älteste Nennung der Wiesenbronner Dorflinde erfolgte in der Bürgermeisterrechnung aus dem Jahre 1728, als Ausgaben für die Außbesserung der Linden vorm Rathauß anfielen. Ein Jahr später wurden acht Kreuzer für die Linden vorm Rathhauß außzubutzen und aufzubinden fällig. Solche Pflegearbeiten wiederholen sich nahezu jährlich und insbesondere zur Kirchweih legte man großen Wert auf einen wohlgeformten Baum. Nach wie vor fand am Kirchweihsonntag um die Dorflinde der Plantanz statt, der die weltliche Kirchweih offiziell eröffnete. Zuständig für die Durchführung des Tanzes waren die Ortsburschen, benötigten dazu aber die Erlaubnis der Obrigkeit. 1734 heißt es: Der Plan auf der Wiesebronner Kirchweyh 1734 mit Musicanten uf zu führen ist erlaubt. Kurz vor der Kirchweih 1740 fielen Ausgaben an Von der Linden auf allhiesigen Plan zu Butzen und wiederum Frisch zu hefften. Aus dem Jahre 1746 wissen wir, wer diese Arbeiten ausgeführt hat: Dem Gemeind Knecht ist wegen der Linden zu zweyen malen zu hefften und zu butzen abgereicht worden 8 Kreuzer. 1766 ist sogar von zwei Gemeindeknechten, heute würde man Gemeindearbeiter sagen, die Rede, die eine Entlohnung erhielten Von der Linden an der Kirchweyh aufzubinden. Von 1770 bis 1781 holten sich die Wiesenbronner einen Fachmann. Entlohnt wurde regelmäßig Vor Einbind- und Beschneidung der Gemeinlinden der gräfliche Gärtner aus Rüdenhausen, Gabriel Mayer. 1779 benötigte dieser neue große Reiff zur Einfaßung der Aeste. In den folgenden Jahren gab es offensichtlich Probleme mit dem Baum, denn es wird 1784 und 1785 vom Aufgraben und Gießen der Gemein Linden berichtet. Man muss davon ausgehen, dass der Baum beschädigt war und nicht mehr gerettet werden konnte. 1799 wird bei den Einnahmen in der Bürgermeisterrechnung das Ende des Baumes bezeugt: Georg Kellermann zalt für den alt abgestadtenen Gemeinlindenbaum beim Rathhauß 1 Gulden. Der relativ hohe Preis für den abgestorbenen Baum beweist, dass es sich um ein ehemals stattliches Exemplar gehandelt haben muss, das auf einem Holzgestell in Form gebracht, geleitet, worden war.
Säulen und Gestell für die Linde
Von der Erneuerung eines sicherlich schon viel älteren Lindengerüstes geben Ausgaben im Jahre 1730 Auskunft. Demnach haben die Zimmerleute Siemon Hanff und Hanß Jörg Dauber die Linde mit 6 eichenen beschlagenen Säulen unterbaut. Die Handwerker erhielten bei der Aufrichtung der Säulen Unterstützung von Fronarbeitern, die mit einem Trunk auf Gemeindekosten entlohnt wurden. Selbstverständlicher Bestandteil des Gerüstes waren Sitzbänke, die sowohl um den Baum selbst als auch zwischen den Säulen platziert sein konnten. 1730 ist von der Verfertigung etlicher Bänck um die Linde die Rede und 1746 wurden zwey Sitzbäncklein zu der Linden geliefert.
1733 schaffte man 15 Stänglein und 36 Pfähl an, die zur Einbindung der Linden dienten. Im Jahre 1745 fielen Ausgaben an von dem Crantz um die Linden zu machen, wobei unklar ist, ob der (Balken-) Kranz für das erste oder ein weiteres Stockwerk gedacht war. Von umfangreichen Ausgaben berichtet die Bürgermeisterrechnung aus dem Jahre 1770. Demnach wurden nicht nur alle, das Gerüst tragenden, Holzsäulen erneuert, sondern auch deren Sockelsteine: Der Steinhauer Niclaus Schwarz zu Großenlanckhem hat vor 6 große Stein zum Lindengestell zu machen bezahlt erhalten 3 Gulden. Wiederum waren bei allen Tätigkeiten Fröner als Hilfsarbeiter eingesetzt, wovon entsprechende Zehrungsausgaben zeugen. 30 Jahre später ging die Linde aus unbekannten Gründen ein. Das relativ neue Gerüst war überflüssig geworden und musste weichen. Seit dieser Zeit ist jede Erinnerung an die Wiesenbronner Dorflinde verloren gegangen. Eine neue wurde nicht mehr gepflanzt, weil man keine mehr brauchte. Dorflinden hatten beim Aufbruch in die Moderne ihre einstige Bedeutung verloren und hatten ausgedient.
Auf dem Foto aus den 1920er Jahren kann man sich den Standort der ehemaligen Wiesenbronner Dorflinde in der Mitte des Platzes gut vorstellen. Das harmonische Platzensemble wird seit Jahrhunderten geprägt vom Rathaus (Bildmitte links), von den Gasthäusern Zum grünen Baum (rechts) und Zur goldenen Krone (links) sowie von einem stattlichen Bürgerhaus (Bildmitte rechts).