Weinhändler und jüngster Sohn des Salomon Moses dahier

Die Wiesenbronner Weinhändlerfamilie Lehmann

Wiesenbronn war nie ein bedeutender Weinhandelsplatz. Nur vereinzelt sind in den Archiven regelrechte Weinhändlerfamilien genannt. Eine solche war im heutigen Anwesen Hans Kreßmann (Eichstraße) nach dem 30jährigen Krieg beheimatet. 1755 heiratete Maria Margareta Löblein, Tochter des Weinhändlers Johann Georg Löblein, einen gewissen Johann Georg Ackermann aus Lindelbach bei Randersacker. Mit dieser Eheschließung dominierte künftig die Landwirtschaft, der Weinhandel wurde aufgegeben.
Im 18. und 19. Jahrhundert findet man in vielen fränkischen Dörfern vermehrt jüdische Weinhändler. Auch in Wiesenbronn sind solche nachgewiesen, die das Geschäft oft als Nebentätigkeit trieben. Als ausgesprochener Weinhändler ist 1785 Nathan Löw greifbar. Seine Geschäfte führten ihn u. a. bis nach Schwaben. Die Wiesenbronner Gewerbesteuerliste des Jahres 1822 nennt als einzigen Weinhändler Nathan Klugmann. Die Steuerliste für 1834 weist dessen Söhne Fälklein Klugmann und Joel Klugmann sowie Moses Lehmann als Weinhändler aus. Dieser Moses Lehmann und seine Familie sollen nun näher betrachtet werden.

Als ersten jüdischen Eigentümer des Anwesens mit der Hausnummer 65 können wir Jaidel Nathan fassen, der das Anwesen 1748 für seinen Sohn Lemmel erwarb. Lämmlein Nathan Jud, so der spätere und vollständige Name von Lemmel, übergab das Anwesen mit der Hausnummer 65 im Jahre 1793 bzw. 1801 jeweils zur Hälfte an seine Söhne David Lämle und Abraham Löw. 1817 nahmen die Lämleins mit der sog. Matrikelpflicht den deutschen Familiennamen Lehmann an. 1837 ist als neuer Eigentümer Moses Lehmann nachgewiesen. Er hatte bereits 1834 als Weinhändler und jüngster Sohn des Salomon Moses dahier Lena Stern aus Rottenbauer geheiratet. Dem Ehepaar wurden fünf Kinder geboren: Brendel, geb. 1836, Babette, geb. 1837 (+ 1844), Salomon, geb. 1839, Samuel 1841 und Nandel, geb. 1842.
Nach dem frühen Tod des Weinhändlers Moses Lehmann am 6. Oktober 1847 mit nur 41 Jahren heiratete seine Witwe Lena ein Jahr später Machul Hänlein, der vermutlich aus Kleinlangheim stammte. Ihm folgte als neuer Eigentümer 1867 der älteste Sohn von Moses Lehmann, Salomon Lehmann, der im gleichen Jahr mit Bertha Walter aus Ullstadt die Ehe schloß. Übergeben wurden Wohnhaus Nr. 65, Stallung, Hofhaus mit Halle und Hofraum. Salomon Lehmann und seine Ehefrau Bertha hatten eine Tochter Paula, geb. 1881, und mindestens vier Söhne: Sigmund, geb. 1870, Moritz, geb. 1872, Samuel, geb. 1876 und Joseph, geb. 1879. Alle erlernten den Beruf eines Weinhändlers und wurden bei ihren Hochzeiten entsprechend als Weinhändler tituliert, nur Moritz wird als Kaufmann genannt“. Sigmund Lehmann heiratete im Jahre 1900 die Kaufmannstochter Karolina Freund aus Großwallstadt, Samuel Lehmann schloss 1908 die Ehe mit Helene Einstein aus Nördlingen und Joseph Lehmann nahm sich 1910 Ricka Rosenthal aus Lohrshaupten zur Frau. Moritz Lehmann wohnte zum Zeitpunkt seiner Eheschließung im Jahre 1898 schon in Würzburg. Er heiratete die Kaufmannstochter Jeanette Oppenheimer aus Bayreuth.
Um 1910 zogen die Brüder Samuel und Joseph mit ihren Ehefrauen nach Würzburg und gründeten dort die Weinhandelsfirma Samuel Lehmann & Co. Beide waren Weltkriegsteilnehmer. Sie verstarben sehr früh im Alter von jeweils 52 Jahren, Samuel am 1.4.1928 und Josef am 10.2.1931. Die Witwe Helene wurde am 25.4.1942 in den Raum Lublin deportiert. Ricka Lehmann emigrierte im Oktober 1941 über Kuba in die USA. Dort wartete bereits ihre Tochter Lilli, die Victor Gibbs geheiratet hatte.
Salomon Lehmann, der das Anwesen 1867 übernommen hatte, verstarb 1905. Seine Witwe Bertha veräußerte den Grundbesitz 1912 an die benachbarte Bäckerei und Weinwirtschaft Ferdinand Hüßner, Hs.-Nr. 66. Bertha Lehmann verzog zu ihren Sohn Samuel nach Würzburg, wo sie 1915 verstarb.

Nur wenig gibt es vom 1707 errichteten Wohnhaus der Lehmanns zu berichten. Es war eingeschossig und aus massiven Sandsteinen erbaut. Wie in Mainfranken üblich, wies die Giebelseite zur Straße hin und der Zugang zum Haus befand sich an der Traufseite. Der für den Weinhandel erforderliche geräumige Hauskeller hatte seinen Zugang vom Hof aus. Dort stand auch ein kleines Nebengebäude, vermutlich eine Holzhalle. Diese musste 1867 einem zweigeschossigen, schmalen Neubau weichen. Das neue Gebäude diente als Austragswohnung und nahm außerdem Räume für die Weinhandlung auf, darunter die Füllhalle. Der Name bezieht sich auf die Funktion dieses Raumes, nämlich das Befüllen von Fässern, später auch von Flaschen, mit Wein. Das für die Sauberkeit einer Weinhandlung unabkömmliche Wasser förderte man aus einem eigenen Pumpbrunnen im Hof.
Ende der 1950er Jahre wurde das Wohngebäude ersatzlos abgebrochen. Zunächst diente die Freifläche als Hausgarten, seit 1976 überwiegend als Gästeparkplatz für das Gasthaus Zur Becka. Das Nebengebäude steht heute noch.

Die Weinhändler

Die Lehmanns werden in den Matrikeln des 19. Jahrhunderts immer wieder als Weinhändler bezeichnet. Der Großvater von Moses Lehmann, David Lämle, tritt als solcher schon 1794 in Erscheinung, sein Vater 1817. Weitere Hinweise können für spätere Jahre einem Rechnungsbuch der Schreinerei Dennerlein aus der Zeit um 1900 entnommen werden. Schon die ersten Aufzeichnungen aus dem Jahre 1896 belegen die Anschaffung von 2 Hunderter Kisten a 6 M” und “15 Stück 12er Kisten a 1,30M. Damit sind Versandkisten für Weinflaschen gemeint, bisher der älteste bekannte Hinweis in Wiesenbronn für das Abfüllen von Wein in Flaschen. Seinerzeit war der Weinhandel noch in Fuhr- und Zapffässer gang und gäbe. So wird 1867 ganz selbstverständlich von fünfzig kleinen Weinversandfässer gesprochen, die im Umlauf sind und nur einen Teil des Gesamtbestandes ausmachen.
Die Flaschenfüllung setzte sich erst nach dem 2. Weltkrieg endgültig durch. Dass die Lehmanns schon frühzeitig die Flaschenfüllung im größeren Umfang betrieben, beweisen Ausgaben für eine gesondert eingerichtete Füllhalle und für Flaschengestelle. 1898 legte Schreinermeister Dennerlein Fußbodenlager und bretterte den Raum neu. Ähnliche Reparaturausgaben sind für die Jahre 1904, 1905 und 1908 verzeichnet. Auch über die Einrichtung der Füllhalle erfahren wir einiges. Dennerlein hat, wohl als Regal, 1 Brett an die Wand gemacht, 1 Schränkchen aufgemacht, einen Tisch abgeändert, 1 Flaschengestell geliefert und den Kassaschrank & Pult lackiert. Der genannte Kassaschrank könnte aus Sicherheitsgründen auch im Wohnhaus gestanden haben. Alle Jahre wird immer wieder die Anschaffung von Kisten für die Versendung von Weinflaschen erwähnt. Gleiches gilt für Traubenkistlein, mit denen frische Weintrauben per Eisenbahn vor allem in Städte geliefert wurden. Anlässlich einer Wohnungsinspektion im Jahre 1903 wird u. a. der Haushalt beschrieben: Lehmann Berta Witwe, 58 Jahre mit Kindern 21, 24, 27 Jahre alt, eine Dienstmagd mit 17 Jahren, Arbeitsräume für eine Weinhandlung. Dienstmädchen, grundsätzlich christliche und aus der näheren Umgebung stammend, waren seit 1880 permanent im Haushalt beschäftigt.
1910 verlagerten die Brüder Samuel und Joseph Lehmann ihre Weinhandlung nach Würzburg. Das Wiesenbronner Stammhaus wurde aufgegeben und wenige Jahre später veräußert.

Der Wohnhaus der Weinhandlung Lehmann wurde nach dem 2. Weltkrieg abgebrochen. Der ehemalige Standort ist an der Häuserflucht in der Koboldstraße noch heute erkennbar. Dem Gasthaus Zur Becka (ganz links) schließt sich das erhaltene Nebengebäude mit Austragswohnung und Füllhalle an. Das Pultdach kennzeichnet den ehemaligen Hof und die Parkplätze mit anschließendem Garten weisen auf die Grundfläche des ehemaligen Wohngebäudes hin.

Auf dem Ortsplan von 1867 ist der seinerzeitige Neubau eines Nebengebäudes mit Füllhalle rot schraffiert eingezeichnet. Die eingetragene Nummer 127 (= Flurnummer) bezeichnet das Wohngebäude der Familie Lehmann (Nr. 1 = Rathaus Nr. 2 = Gasthaus Zur Becka, Nr. 3 = Anwesen Lehmann).

Auf einem Foto des Kirchweihumzuges 1950 sind auf der linken Seite die Gebäude des Anwesens Lehmann zu erkennen. Die Türöffnung ganz links ist noch Bestandteil des heutigen Gasthauses Zur Becka. Dann folgt das schmale Hofhaus mit Austragswohnung und Füllhalle und schließlich das eingeschossige Wohngebäude.

Der Ausschnitt aus einem Luftbild zeigt das Anwesen Lehmann in der Koboldstraße im Jahre 1926 mit direkter Nachbarschaft. Eingezwängt zwischen dem heutigen Gasthaus Zur Becka (links) und dem ehemaligen, zweigeschossigen Gasthaus „Zum Hirschen“ sind das Wohnhaus, der kleine Hof und das Nebengebäude zu erkennen.